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Kulturstunde – erste Bilanz

Nach rund einem Jahr Pilotphase ziehen wir als Team Kulturstunde ein erstes Fazit. Unsere wichtigste Erkenntnis: Die Kulturstunde ist aus Sicht der Schule ein unkompliziertes Projekt – es ist schnell und unaufwändig (und bunt und interdisziplinär). Die Frage, wie nachhaltig das Projekt wirken kann, beschäftigt uns nach wie vor – und wir möchten intensiv daran weiterarbeiten.


Nach 15 Kulturstunden an vier Schulen in den Kantonen Basel-Stadt und Aargau wagen wir in einer Meilensteinsitzung einen ersten Blick zurück. Was funktioniert? Wo können wir uns verbessern? Anhand der Werte, die wir als Fundament unserer Arbeit festgelegt haben, nehmen wir das Projekt unter die Lupe. Rasch schälen sich vier wichtige Punkte heraus. Und es zeigt sich auch, dass wir an unseren Zielen festhalten möchten – selbst wenn sie sehr hoch gesteckt sind.


Pro: Schnell und unkompliziert

Die Rückmeldungen von Lehrpersonen und Schulleitungen bestätigen unsere Vermutung: Die Kulturstunde bedeutet für die Schule grundsätzlich nicht viel Aufwand (bei den Pilotschulen ist der Aufwand für die Schulleitungen und Kontaktpersonen noch etwas höher – an dieser Stelle ein grosser Dank an sie!). Jede Kulturstunde wird durch das Projektteam kuratiert und organisiert. Die Lehrpersonen erhalten vor der Kulturstunde pädagogisch geprüftes Unterrichtsmaterial, das sie zur Vorbereitung nutzen können. Dieses wird sehr geschätzt, selbst wenn es aus Zeitgründen nicht immer zum Einsatz kommt.

Die Schule stellt einen Raum und jeweils eine Lektion zur Verfügung, und sie ernennt eine Kontaktperson, die während des Projekts die organisatorische Detailabsprache mit dem Team Kulturstunde übernimmt.

Es braucht von Seite der Schule keine vorgängige Konzeptarbeit – ein wichtiger Pluspunkt.


Pro: Regelmässigkeit

Die Schulen und Lehrpersonen melden sich mit überwiegend positiven Feedbacks zurück. Die Kulturstunde hat sich als Teil des Stundenplans etabliert. Die Schüler*innen fragen regelmässig nach: Wer besucht uns als Nächstes? Offenbar gibt es zum Teil sogar Ratespiele in diese Richtung.


Aktuell findet an den beteiligten Pilotschulen pro Monat eine Kulturstunde à 45 Minuten in der Aula statt – Kulturschaffende kommen zu Besuch, zeigen Ausschnitte aus ihrem aktuellen Schaffen und regen die Kinder (2-3 Klassen pro Durchführung) in kurzen Übungen zum Mitmachen an. Aufgrund dieser hohen Regelmässigkeit entsteht eine Art Ritualisierung – die Schüler*innen wissen, was sie erwartet. Dies spüren gerade die Künstler*innen, die über sehr viel Erfahrung in Sachen Kulturvermittlung an Schulen verfügen, deutlich – die Schüler*innen zeigten sich sehr offen und interessiert und stellten sofort ohne Scheu Fragen, weil sie das Format bereits gut kennen.


Pro: Es ist für alle etwas dabei

Dass wir von Anfang an auf Interdisziplinarität setzten, erweist sich ebenfalls als grosses Plus. Lehrpersonen und Schüler*innen schätzen es, dass die Kulturschaffenden, die wir engagieren, in so vielen unterschiedlichen Sparten tätig sind. Wer gern zeichnet, macht bei der Kulturstunde mit der Illustratorin vielleicht begeisterter mit als bei der nächsten, wo eine Tanzschaffende zu Besuch ist – und umgekehrt.


Offene Frage: Ist die Kulturstunde zu kurz? Kann sie nachhaltig wirken?

Was die Kulturstunde so unkompliziert macht – ihre Kürze – wirft für uns auch Fragen auf. Wiegt die Regelmässigkeit der Kulturstunde, idealerweise eine ganze Schulkarriere lang, die Tatsache auf, dass den Kunstschaffenden nur eine Lektion zur Verfügung steht? Dass also nur ein ganz kurzes Eintauchen möglich ist?


In den skandinavischen Ländern, wo Kulturstunden zum Alltag gehören, gibt es dafür unterschiedliche Lösungen. Meist finden an den Schulen pro Jahr ein bis zwei grosse Events statt – jeweils für alle, in der Turnhalle oder der Aula – und parallel dazu laufen längerfristige Projekte. Eine grossangelegte Studie von Bildungsforscherin Anne Bamford zeigte eindeutig auf, wie wichtig solche längerfristigen Projekte sind. Nur so könnten die Kinder Vertrauen aufbauen, sich kreativ ausprobieren und ihr (kulturelles) Selbstverständnis entwickeln. Deshalb seien auch Aufführungen und Ausstellungen sehr wichtig dafür, dass eine nachhaltige Wirkung entsteht (Mit nachhaltiger Wirkung ist unter anderem gemeint, dass kulturelle Projekte zum Schulerfolg der Schüler*innen beitragen, weil sie verschiedene Kompetenzen fördern).


Wir fragen uns: Wo können wir investieren? Was können wir hier besser machen, ohne dass das Projekt konzeptlastig und zeitintensiv wird – gerade auch in Zusammenhang mit Übertrittsphasen zum Beispiel in den 6. Klassen? Könnten wir zusätzlich zu den Kulturstunden flexibel planbare Projekte auf die Beine stellen, oder die Schulen bei eigenen innovativen Ideen gezielt unterstützen?


Evidenzbasierung als Fundament

Es ist uns bewusst, wieviel Arbeit in Sachen Kulturvermittlung und kulturelle Bildung bereits geleistet wurde und wird – von Bildungsdirektionen, von den Schulen, von der Politik, von Fachstellen, von Vereinen und von engagierten Einzelpersonen. Wir fangen deshalb nicht ganz neu an, sondern stützen uns auf bereits vorhandenem Wissen ab. Das Fundament unseres Projekts soll evidenzbasiert sein. Wir bauen dieses Fundament analog des Modells aus der evidenzbasierten Medizin (das auch in den Sozialwissenschaften eingesetzt wird) auf drei Pfeilern auf:


1) Wissen aus Forschung und Evaluationen – die Recherche-Arbeit ist uns sehr wichtig

2) Wissen von Expert*innen – wir lassen uns in regelmässigen Coachings begleiten und überprüfen

3) Wissen aus der Praxis – wir holen Feedbacks von Schulleitungen, Lehrpersonen, Schüler*innen und Eltern ein und evaluieren unser Projekt


Diese drei Pfeiler sollen dafür sorgen, dass das Projekt "Kulturstunde" sich langfristig weiterentwickelt. Wir möchten etwas erreichen – in Zusammenarbeit mit unseren Partner*innen. Wir möchten dazu beitragen, dass Hürden beim Zugang zu Kultur und kultureller Bildung abgebaut werden. Die Chancengerechtigkeit ist unser erklärtes Ziel, selbst wenn wir dank der oben genannten Wissenspfeiler bereits wissen, wieviele strukturelle Hindernisse es gibt. Sie sind für uns aber kein Grund, uns nicht dafür einzusetzen.


Kurzfristig funktioniert die Kulturstunde. Unser Ziel ist die Langfristigkeit

Dass das Projekt Kulturstunde im Schulalltag funktioniert, durften wir bereits feststellen. Wir haben rührende Momente erlebt, chaotische Momente, gewagte, begeisternde Experimente. Kinder, die grosse Fragen stellten, und Kunstschaffende, die dies zum Nachdenken anregte. Da passiert so viel Schönes und Inspirierendes!


Wir wünschen uns, dass solche Momente nicht wieder verpuffen, sondern dass sie auf kleiner Flamme weiterlodern, bei Schulen und Familien. Wir möchten uns dafür einsetzen, dass Kinder eine innere Überzeugung entwickeln, dass Kunst für alle da ist – nicht nur als Beruf, sondern auch als Beschäftigung in der Freizeit. Dass Kunst nicht nur für diejenigen da ist, die über genügend entsprechende Vorbildung oder finanzielle Mittel verfügen.


Unsere Hoffnung geht dahin, dass das Projekt nach der Pilotphase weitergeht. Dass möglichst viele Schüler*innen aller Altersstufen davon profitieren können. Dass sie Kulturschaffende kennen lernen können, dass sie Fragen stellen und ausprobieren dürfen, ohne Leistungsdruck.


Schliesslich sind folgende drei Dinge erforscht und legitimiert:


1) Kulturelle Teilhabe ist ein Menschenrecht.


2) Die gut angeleitete Auseinandersetzung mit Kunst trägt zum Schulerfolg bei


3) Menschen, die gelernt haben, kritische Fragen zu stellen, Dinge über den Haufen zu werfen, die kreativ und begeisterungsfähig sind, machen eine Gesellschaft bunt und innovativ.



Live-Illustration, während einer Kulturstunde mit "Les Reines Prochaines" entstanden (Matthias Leutwyler)

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