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Anicia Kohler

8 Erfolgsfaktoren für kulturelle Bildungsangebote


2010 veröffentlichte die britische Bildungsforscherin Prof. Dr. Anne Bamford im Auftrag der UNESCO eine Studie zur Qualität künstlerischer Bildung. Die Metaanalyse mit Daten und Fallstudien aus über 40 Ländern weltweit lieferte zum ersten Mal Hinweise darauf, wann und wie solche Bildungsprojekte nachhaltig wirken und sogar den Schulerfolg positiv beeinflussen können.


Grundsätzlich besteht weltweit politisch und gesellschaftlich Einigkeit darin – kulturelle Bildung ist für Kinder wichtig. Man verspricht sich viel davon, und investiert dementsprechend häufig viel in Projekte. Bamfords Studie bestätigt, dass Schüler:innen tatsächlich profitieren: Kulturelle Bildung fördert den Schulerfolg, sie unterstützt beim Lesen-, Schreiben- und Sprechenlernen und sie unterstützt Schüler:innen dabei, ihre künstlerischen und kreativen Fähigkeiten zu entwickeln. Sie trägt zu Ich-Kompetenz, zu Sach-Kompetenz und zu Sozial-Kompetenz bei. Gleichzeitig fördert sie ein positives Schulklima und sorgt dafür, dass sich Schüler:innen, Eltern und Lehrpersonen wohl fühlen (vgl. S. 9).


Aber – und das ist ein gewichtiges Aber – nur dann, wenn die kulturellen Bildungsangebote von hoher Qualität sind. Wenn sie zu wenig durchdacht sind, verkehrt sich die Wirkung ins Gegenteil, und statt positiver Effekte lassen sich sogar negative Effekte feststellen. "Kreativität und Innovation degenerieren oder bilden sich dann gar nicht erst aus", schreibt Bamford im Vorwort (S. 9). Gut gemeinte statt wirklich gute Angebote können insgesamt also schädlicher sein als gar keine.


Bamfords Studie nennt mehrere Erfolgsfaktoren für erfolgreiche und nachhaltige kulturelle Bildungsangebote, die sich bei der Analyse eindeutig herauskristallisierten. "Es war ein gewissermassen unerwartetes Ergebnis unserer Forschung, dass die Fallstudien bei allen Unterschieden so einheitliche Parameter aufwiesen", schreibt sie (S. 114).


Welches sind nun diese Erfolgsfaktoren? Wir listen sie hier auf (die Gruppierung haben wir vorgenommen). Hervorragende Bildungsangebote charakterisieren sich wie folgt:


Sie sind aktiv, partizipativ und längerfristig

Problem- oder projektorientierte Aktivitäten wecken die kindliche Neugier – dies hält Bamford für den wichtigsten Faktor überhaupt (S. 121). Wenn Kinder mit einem künstlerischen Prozess auf Fragen reagieren dürfen, die sich ihnen stellen, können sie ihre eigene kulturelle und historische Identität entwickeln. Gefragt sind Projekte, die die aktive Mitarbeit von Kindern fördern und fordern. Die effektivsten Projekte dauerten mehrere Wochen oder länger.


Sie organisieren Aufführungen oder Ausstellungen

In der Studie untersuchte gelungene Programme legten grossen Wert auf aktives künstlerisches Schaffen der Kinder. Sie lernten nur dann dazu, wenn das künstlerische Schaffen mit praktischem Tun verknüpft war. "Von grosser Bedeutung war dabei, dass die Kinder Gelegenheiten erhielten, sich innerhalb eines breiten Spektrums der Künste zu erproben (S. 122)". Als Hindernisse dafür, dass Kinder selber künstlerisch aktiv werden können, wurden nebst mangelnden menschlichen oder finanziellen Ressourcen überfüllte Klassenzimmer genannt. Befragte Kinder bestätigten, wie wertvoll die Teilnahme an Aufführungen und Ausstellungen für sie sei – besonders dann, wenn ein:e Künstler:in als Vermittler:in beteiligt war. Zusätzlich rücken laut Studie solche Anlässe den Wert der Arbeit von Lehrpersonen, Künstler:innen und Kindern ins öffentliche Bewusstsein. Dies ist für alle Beteiligten hilfreich und zeigt Effekte in der ganzen Schule, aber auch im Quartier und der ganzen Gemeinde.


Sie verbinden Kunst, Vermittlung und Schulfächer

Isolierte, kurzfristige, mit der Schule nicht verbundene Aktivitäten sorgten für misslungene Erfahrungen. Zentral für ein gelungenes Projekt oder Programm ist genügend Raum dafür, dass eine Beziehung zwischen Künstler:innen und Kindern entstehen kann. Dies erfordert Zeit und Flexibilität aller Beteiligten. Ideal ist es auch, wenn die künstlerischen Aspekte des Lernens fächerübergreifend zueinander in Bezug gesetzt und auch in Fächern wie Geschichte oder Sprache wieder aufgenommen werden.

Der aktive Austausch von Ideen zwischen Künstler:innen, Lehrpersonen und Kindern ist sehr wichtig. Besonders gut ist die Haltung, dass alle Kinder sich künstlerisch ausdrücken können – und dass die Projekte eine Reihe von "anregenden und unterschiedlichen Lernerfahrungen anbieten", die Kinder ermutigen (S. 124).


Sie zeigen Mut zum Risiko und zur Reflexion

Projekte, die die Studie als wirksam bezeichnete, agierten flexibel und spontan. Lehrpersonen, Kinder und Künstler:innen zeigten Mut zum Experiment, sie probierten Dinge aus und stellten um, wo es nötig war. Damit verfolgten sie die Methode des "forschenden Lernens", des Lernens, das auf einem künstlerischen Ansatz basiert. Es erlaubt Lehrpersonen und Künstler:innen, den Kindern Aufgaben zu stellen, die ihren Forschergeist wecken, und sich auf ihre Fragen und Inputs einzulassen. Dazu lässt sich auch die Reflexion zählen. Viele Programme beinhalteten das Schreiben von Tagebüchern oder das Führen von schriftlichen oder visuellen Portfolios, zum Teil mit zusätzlichen künstlerischen Methoden, die es den Kindern erlaubten, auch dort zu experimentieren.


Sie haben den Zugang für alle Kinder im Blick

Bei guten, erfolgreichen Programmen steht und stand die Chancengerechtigkeit im Zentrum. Alle Kinder, unabhängig von ihrer künstlerischen Begabung, ihrer Motivation, ihrem wirtschaftlichen Status oder ihrem Verhalten haben ein Anrecht auf hochqualitative künstlerische Bildung (vgl. Seite 118), und sollen davon vor Ort profitieren können. An sich tolle längerfristige Angebote wie Theaterclub, Schulband oder Chor reichen deshalb nicht aus, weil sie nur begabte und interessierte Kinder ansprechen.


Sie sorgen für gute Bewertungs- und Evaluationsstrategien

Mehr als die Hälfte der untersuchten Länder unternahmen Anstrengungen, die Künste zu bewerten. Leider entsprechen diese Bewertungsmethoden für kreatives Lernen häufig keinen formalen Qualifikationsbeurteilungen. So wird künstlerische Bildung oft nur mangelhaft dokumentiert – und als Folge davon leidet ihr Status. Es ist deshalb dringend nötig, dass Bewertungsmethoden entwickelt werden, die im Rahmen des schulischen Kontexts anerkennen, wie wichtig Künste und kulturelle Bildung für die Entwicklung eines Kindes sind (vgl. S. 120).


Sie sorgen für Weiterbildung von Lehrpersonen und Künstler:innen

Kontinuierliche berufliche Fortbildung bewirkte in den untersuchten Projekten, dass Lehrpersonen und Künstler:innen motiviert, inspiriert und voller Freude ihrer Arbeit nachgingen. "Die Künste halfen dabei, Lehrer aufs Neue zu motivieren und die Qualität ihrer pädagogischen Arbeit insgesamt zu verbessern", schreibt Bamford (S. 118). Auch die Künstler:innen profitierten von der Arbeit im pädagogischen Kontext. Sie empfanden sie als anregend und inspirierend, und stellten fest, dass sie ihr Einkommen und ihren professionellen Status verbesserte. Von regelmässigem Austausch zu künstlerischen und pädagogischen Methoden können alle Seiten profitieren.


Sie pflegen eine aktive Partnerschaft mit Schulen, Künstler:innen und Gemeinde

Besuche von Künstler:innen in der Schule sind häufig Teil von Kulturprojekten. Diese sollten aber nicht kurzfristig sein, sonst könnten sie einen Alibi-Charakter bekommen – und nachhaltige Effekte blieben aus (vgl. S. 117). Ideal ist eine langfristige, langjährige, gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Projekt und Schule. Zudem ist die Mitgestaltung der Gemeinde wichtig und hilfreich – sie kann zu offener, demokratischer Teilhabe von Minderheitengruppen beitragen, zum Beispiel durch Partizipation bei Ausstellungen und Aufführungen in der Schule für ein Quartier, ein Dorf oder eine Stadt. Ebenso wichtig ist es, lokal verankerte Künstler:innen zu engagieren, so dass Kinder künstlerisch innerhalb ihrer gewohnten Umgebung aktiv werden können (vgl. S. 126).

Schulen sind eine Welt – die Politik eine andere. Dies kann zu Übersetzungsproblemen führen, insbesondere wenn eine Welt die andere überzeugen, ihr etwas überstülpen will – oder wenn umgekehrt die andere Welt die Verantwortung ganz abgibt. In der Studie untersuchte Programme, wo dies der Fall war, funktionierten nur solange, wie die Champions – Initiator:innen solcher Projekte mit hoher Energie – sich investierten. Danach liefen die Projekte aus und führten nicht zu nachhaltigen, langfristigen Programmen. Für ein gutes kulturelles Projekt ist deshalb die gemeinsam getragene Verantwortung aller Akteure sowie ein demokratischer Ansatz bei Umsetzung und Evaluation unerlässlich.


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In ihrem Nachwort betont Dr. Bamford die Notwendigkeit weiterer Forschung. Sie bedauert die Tendenz zur Entwicklung immer mehr Projekte, statt die bestehenden Projekte kontinuierlich zu verbessern und miteinander zu vernetzen – und wünscht sich, dass ihr Bericht dazu beitragen kann. Sie schreibt (S. 192):

"Ich hatte das Privileg, viele Schulen und künstlerische Projekte in vielen, vielen Ländern zu besuchen. Diese Erfahrungen zeigen mir, dass es viele Personen gibt, die sich mit wahrer Leidenschaft und Energie für gute künstlerische und kulturelle Bildung für alle stark machen. Diese Leute sehen, wie ich, ihr Engagement für die künstlerische Bildung voller Optimismus."

Forschende, Lehrpersonen, Künstler:innen, Geschäftsleute, Eltern, Kinder und Studierende sollten zusammenarbeiten, um die vielen Herausforderungen und Gelegenheiten wahrzunehmen, die sich für die künstlerische Bildung eröffneten.




Buch: "Der Wow-Faktor. Eine weltweite Analyse der Qualität künstlerischer Bildung", von Anne Bamford, Waxmann Verlag, 2010.



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